Digitale Barrierefreiheit 1/3 – Die absoluten Basics
Was ist das überhaupt? Wie barrierefrei ist digital? Und warum ist das wichtig? Teil 1 der dreiteiligen Serie.
Weniger ist mehr. Das ist auch bei digitaler Barrierefreiheit so. Also: Weniger Barrieren in digitalen Produkten bringen mehr Usability für alle Nutzer:innen. Mehr Barrierefreiheit gibt es aber nur dann, wenn mehr mitmachen und mehr darüber gesprochen wird. Und aktuell wird viel darüber gesprochen. Weil »digital« spätestens seit der Corona-Pandemie sowieso eine viel größere Rolle für mehr Menschen spielt. Und weil viele Unternehmen ab Juni 2025 mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) verpflichtet werden, ihre Websites und digitalen Services barrierefrei zu machen. Danke European Accessibility Act.
tl;dr
- Die digitale Barrierefreiheit wird immer wichtiger, da digitale Produkte einen immer größeren Teil unseres Alltags ausmachen. Unternehmen werden zunehmend gesetzlich verpflichtet, ihre Websites und digitalen Dienste barrierefrei zu gestalten.
- Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) sind der Standard, um digitale Inhalte barrierefrei zu machen, und adressieren Probleme wie schlechten Kontrast, fehlende Alternativtexte bei Bildern und leere Links.
- Die digitale Barrierefreiheit ist ein fortlaufender Prozess und erfordert Bewusstsein, Strukturen und Know-how.
- Obwohl viele Menschen primär an Websites denken, betrifft digitale Barrierefreiheit auch andere digitale Angebote und Geräte.
- Trotz der Fortschritte gibt es immer noch weit verbreitete Probleme mit der Barrierefreiheit auf Websites, die jedoch größtenteils leicht zu beheben sind.
- Digitale Barrierefreiheit ist entscheidend, da das Internet für viele Menschen eine grundlegende Quelle für Informationen, Einkäufe, Arbeit und vieles mehr ist.
- Barrierefreiheit führt zu einer verbesserten Usability, mehr zufriedenen Nutzern, einem geringeren Klagerisiko und einer besseren Auffindbarkeit in Suchmaschinen.
Barrierefreiheit ist kein fixer Zustand, sie muss immer wieder neu erreicht werden
Zuerst die Grund-lagen-arbeit. Was ist digitale Barrierefreiheit eigentlich? Mit digitaler Barrierefreiheit machst du es ALLEN möglich, deine digitalen Angebote zu nutzen. Dein Ziel: Einschränkungen beim Sehen, Hören, Sprechen, Bewegen oder beim Verarbeiten von Informationen sollen sich nicht negativ auf die Nutzung deiner digitalen Angebote auswirken.
Hier wird schon deutlich, dass Barrierefreiheit kein fixer Zustand ist. Es ist eher das Ziel und muss immer wieder neu erreicht werden. Es braucht ein Bewusstsein dafür, Strukturen und Prozesse und das Know How. Also, wie geht digitale Barrierefreiheit?
Ein paar schlaue Menschen vom W3C (World Wide Web Consortium) haben für die Barrierefreiheit von Web-Inhalten Regeln aufgeschrieben. Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG). In diesen Richtlinien stehen Dinge, die man machen sollte, damit zum Beispiel eine Website barrierefrei wird. Für Redakteur:innen, Designer:innen und Entwickler:innen auf der ganzen Welt sind die WCAG der absolute Standard, wenn es um Barrierefreiheit von Web-Inhalten geht. Echt hilfreich. Seit Juli 2023 gibt es bereits die dritte Version als Arbeitsentwurf. Aktuell arbeiten wir mit WCAG 2.2. Laut diesen Regeln soll Web-Content so gestaltet sein:
- Wahrnehmbar: Zeig Informationen so an, dass sie alle wahrnehmen können.
- Bedienbar: Stell Komponenten und Funktionen so bereit, dass sie für alle bedienbar sind.
- Verständlich: Sorge dafür, dass das Interface und die Informationen leicht nachvollziehbar sind.
- Robust: Dein digitales Angebot sollte auf möglichst allen Geräten zuverlässig laufen und mithilfe von unterstützenden Technologien interpretierbar sein.
Oft denkt man bei digitaler Barrierefreiheit zuerst an Websites. Das ist aber natürlich nicht alles. Es geht auch um andere digitale Angebote, Inhalte und Geräte – Apps, Redaktionssysteme, Terminals, Wearables, Smart-TVs, IoT-Geräte, Dokumente (Stichwort barrierefreies PDF), Browser, Mediaplayer – you name it. Zum Glück gibt es aber auch dafür Guidelines von der W3C zur Orientierung.
Barrierefreie Websites – Die typischen Fehler sind vergleichsweise einfach zu beheben
Zurück zu den Websites und der Barrierefreiheit, denn dafür gibt es eine gute Datenlage. Und die spricht eine klare Sprache. 96,3 % der 1 Million meistbesuchten Homepages haben Probleme in Sachen Barrierefreiheit. Anders ausgedrückt: Von diesen 1 Million Top-Homepages sind nur 37.000 ohne Probleme. Erstmal sacken lassen.
Woher diese Zahl kommt? Von WebAIM. Die Initiative untersuchte in den letzten fünf Jahren immer wieder die Homepages der 1 Million meistbesuchten Websites auf Barrierefreiheit. Das läuft natürlich alles automatisiert und die Methode hat ihre Grenzen. Aber die Studie liefert dennoch einen guten Startpunkt, um den aktuellen Stand der digitalen Barrierefreiheit einzuschätzen.
2019 waren auf 97,8 % der untersuchten Homepages Probleme mit der Barrierefreiheit zu finden. 2023 ist der Wert um 1,5 Prozentpunkte auf 96,3 % gesunken. Also ein bisschen besser geworden.
Die typischen Probleme lesen sich wie das 1 × 1 des Web-Contents. Man könnte annehmen, dass das eigentlich keine Probleme sein sollten. Dennoch tauchen sie auf sehr vielen Homepages auf und sind noch dazu über die letzten vier Jahre immer dieselben:
- schlechter Kontrast bei Texten
- keine oder nicht hilfreiche Alternativ-Texte bei Bildern
- leere oder nichtssagende Links
- keine Labels bei Formularen
- leere Buttons
- keine festgelegte Sprache (lang attribute)
Im Schnitt hatte in der Untersuchung 2023 jede Homepage 50 Probleme. Seiten aus den Kategorien Regierung, Politik, Gesellschaft, Wissenschaft etc. wiesen weniger Probleme auf als Seiten aus den Kategorien Haus und Garten, Reisen, Style und Fashion.
Wir sehen also, dass Websites insgesamt barrierefeier werden. Wenn auch nur ganz, ganz leicht. Aber es tut sich etwas. In manchen Bereichen schneller als in anderen. Das ist gut. Aber es liegt auch noch viel Arbeit vor uns. Die typischen Fehler sind vergleichsweise einfach zu beheben. Und das hätte einen echt großen Effekt auf die Nutzbarkeit der Websites. Für alle.
Zugang ist für alle da, oder warum wir mehr für digitale Barrierefreiheit tun sollten
Kurze Antwort: Darum! Die lange: 80 % der Deutschen nutzen das Internet täglich, die tägliche Nutzungsdauer ist in den letzten Jahren immer weiter auf mittlerweile über 2,5 Stunden gestiegen, knapp 70 Millionen Smartphones sind in Deutschland im Umlauf. News, Shopping, Arbeit, Gaming, Kontakte, Jobsuche, Banking, Buchungen – Alles findet im Internet statt, über Interfaces auf digitalen Endgeräten.
Auf der einen Seite ist Digitalisierung in allen Bereichen des Lebens präsent und wir wissen, dass das noch zunehmen wird. Auf der anderen Seite sehen wir eine große Gruppe von Menschen, für die Barrierefreiheit sehr wichtig ist (nämlich für alle Menschen). Dazwischen stehen digitale Produkte, Anwendungen und Inhalte. Die meisten von ihnen sind nicht barrierefrei gestaltet. Sie sollten es aber sein, um allen Teilhabe zu ermöglichen. Es geht darum, eine inklusive Umgebung zu schaffen, in der alle Menschen die gleichen Chancen haben.
Barrierefreiheit ist für alle gut
Und eigentlich braucht es keine weiteren Gründe dafür, das Internet zu einem Ort für alle zu machen. Hier sind trotzdem noch ein paar:
- Barrierefreiheit führt zu mehr Usability: Barrierefreies Design bietet allen deinen Nutzer:innen Vorteile, da barrierefreie Seiten einfacher zu bedienen sind
- Mehr zufriedene Nutzer:innen: Barrierefreie Angebote bringen mehr User und erhöhen die Zufriedenheit mit deinem Produkt und du wirst empfohlen.
- Auf der sicheren Seite: Der Klassiker – Du vermeidest Klagen und Bußgelder.
- Der Suchmaschine gefällt das: Dein SEO verbessert sich, weil viele Maßnahmen für mehr Barrierefreiheit auch den Crawlern gefallen. Bounce Rates verringern sich, auch das kommt gut in den Suchmaschinen.
Hier geht es zu Teil 2 der Serie: »Checkliste barrierefreie Websites«
Hier geht es zu Teil 3: »Das Barriere-freiheits-stärkungs-gesetz«