June 2024

Digitale Barrierefreiheit 3/3 – Das Barriere-freiheits-stärkungs-gesetz

Das Paragraphenzeichen

Was ist das BFSG? Was ist es nicht? Und was muss man jetzt beachten, wenn man eine Website hat? Teil 3 der dreiteiligen Serie.

Endlich! Barrierefreiheit kommt. Jetzt wirklich. Nicht für alle, aber für viele. Und sie kommt schon ganz bald. Ab 28. Juni 2025 soll es so weit sein. Grund dafür ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (kurz BFSG). Das Ziel: »die gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, Einschränkungen und älteren Menschen.« Klingt erstmal gut, oder?

tl;dr

  • Das BFSG ist ein Gesetz, das darauf abzielt, den Zugang zu Produkten und Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen zu verbessern. 
  • Es setzt eine EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit um und betrifft vor allem digitale Produkte und Dienstleistungen wie Websites und Apps, Terminals, Smartphones etc.
  • Das Ziel ist es, Barrieren abzubauen, die die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben einschränken. 
  • Kritisiert wird, dass das Gesetz nicht weit genug geht und zu viele Ausnahmen erlaubt, insbesondere bei den Übergangsfristen für die Umsetzung der Barrierefreiheit. 
  • Vom BFSG sind alle Hersteller, Händler und Dienstleister betroffen, die bestimmte Produkte vertreiben oder Dienstleistungen anbieten, allerdings mit Ausnahmen für Kleinstunternehmen. 
  • Wichtig ist, dass alle betroffenen Produkte und Dienstleistungen bis spätestens 28. Juni 2025 den neuen Vorschriften entsprechen müssen. 
  • Es gibt konkrete Anforderungen für die Umsetzung, die Einhaltung wird durch Marktüberwachungsbehörden kontrolliert, bei Nichteinhaltung drohen Bußgelder.

Was ist das BFSG?

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz zielt darauf ab, den Zugang zu Produkten und Dienstleistungen zu verbessern. Es soll sicherstellen, dass Menschen mit Behinderung in der Lage sind, Informationen und Technologien gleichberechtigt zu nutzen.

Mit dem BFSG setzt Deutschland die EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit um. Dazu gehören unter anderem Vorschriften für digitale Produkte und Dienstleistungen wie Websites, mobile Anwendungen und E-Book-Reader. Damit sollen Barrieren abgebaut werden, die die Teilhabe an der Gesellschaft einschränken.

Das BFSG verlangt von Unternehmen, ihre Produkte und Dienstleistungen so zu gestalten, dass sie für alle Nutzer*innen zugänglich sind, was bedeutet, dass sie den Anforderungen an Barrierefreiheit entsprechen müssen.

Übrigens: Ein Blick in den Wortlaut des Gesetzes lohnt sich auch für Laien. Denn in solchen Zusammenfassungen und Guides wie diesem hier gehen manchmal kleine aber wichtige Details verloren. Und man erfährt ganz nebenbei, was die Gesetzgeber*innen unter einem »Universalrechner« verstehen.

Grafik zum Thema Barrierefreiheitsstärkungsgesetz

Was ist das BFSG nicht?

Behindertenverbände sehen im BFSG grundsätzlich einen wichtigen Schritt hin zu mehr Inklusion. Doch gleichzeitig finden Fachverbände in Deutschland, wie der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband, dass das Gesetz nicht weit genug geht und zu viele Ausnahmen zulässt. 

Besonders kritisiert werden die langen Übergangszeiten, die eine schnelle Umsetzung einer inklusiven Gesellschaft verhindern. Zum Beispiel müssen bestehende Bankautomaten erst bis 2025 barrierefrei sein, neu aufgestellte Automaten sogar erst bis 2040. Dies wird als zu langsam angesehen, um echte Barrierefreiheit zu erreichen. 

Zudem deckt das Gesetz nicht den Zugang zu Gebäuden ab, in denen barrierefreie Einrichtungen wie Automaten stehen. Es gibt also noch viele ungelöste Probleme. Behindertenverbände fordern daher stärkere rechtliche Werkzeuge, um die Umsetzung des Gesetzes zu verbessern und durchzusetzen. Sie wollen auch, dass mehr finanzielle Mittel für die Überwachung des Marktes bereitgestellt werden.

Wer ist vom BFSG betroffen?

Betroffen ist vielleicht das falsche Wort. Denn die Gesetzgeber:innen hatten etwas anderes im Sinn. Zitat: »Klare und einheitliche Standards sollen deshalb den Binnenmarkt stärken und zu einer größeren Verfügbarkeit auch preisgünstiger barrierefreier Produkte und Dienstleistungen beitragen.« Es geht also eher um ermöglichen, nicht um verbieten. 

Trotzdem: Der Kreis der Marktteilnehmer, die sich um Barrierefreiheit ihrer Produkte und Dienstleistungen kümmern müssen, wird größer. Was bisher vor allem für öffentliche Institutionen galt, wird nun auch für bestimmte private Unternehmen zur Maßgabe. Sie müssen jetzt auch die Richtlinien zur Barrierefreiheit konsequent für ihre Produkte und Dienstleistungen umsetzen. Betonung auf »bestimmte« Unternehmen.

Unter das BFSG fallen alle Hersteller, Händler und Importeure, die bestimmte Produkte vertreiben. Ebenso sind Anbieter bestimmter Dienstleistungen betroffen. Ausgenommen vom Gesetz sind auch Kleinstunternehmen. Das sind Unternehmen, mit weniger als 10 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von höchstens zwei Millionen Euro.

Wenn also etwas aus dieser Liste auf dich zutrifft, solltest du aktiv werden:

Produkte:

  • Smartphones, Tablets, Computer, Notebooks inklusive Betriebssysteme
  • Zahlungsterminals inklusive Software
  • Fernsehgeräte mit Internetzugang sowie Router
  • Geldautomaten, Fahrausweisautomaten, Check-in-Automaten
  • interaktive Selbstbedienungsterminals zur Bereitstellung von Informationen, mit Ausnahme von Terminals in Fahrzeugen, Luftfahrzeugen, Schiffen, Schienenfahrzeugen
  • Endgeräte für Telekommunikation oder für den Zugang zu audiovisuellen Inhalten
  • E-Book-Lesegeräte

Dienstleistungen:

  • Telekommunikation (Telefonie, Messenger)
  • überregionale und nationale Personenbeförderung
  • Bankdienstleistungen
  • elektronischer Geschäftsverkehr mit Verbrauchern (Webshops, Ticketshops, Buchungen)

Vor allem der letzte Punkt trifft wahrscheinlich auf viele Apps oder Websites zu. Es geht aber immer um den Verkauf oder Erwerb von Produkten oder Dienstleistungen. Rein informative Websites sind also nicht vom BFSG betroffen. Ebenso wenig Websites, die sich an B2B-Kund*innen richten, denn diese sind keine Verbraucher im Sinne des Gesetzes.

Wann muss man etwas tun?

Spätestens jetzt solltest du aktiv werden oder besser schon richtig aktiv sein. Denn das Gesetz gilt prinzipiell ab 28. Juni 2025. Das ist als Stichtag zu verstehen. Dienstleistungen oder Produkte, die nach diesem Tag in Umlauf gebracht werden, müssen die Regelungen erfüllen. Also noch deutlicher: Sie müssen dann schon barrierefrei sein.

Aber auch hier gibt es ein paar Ausnahmen:

Das Gesetz gilt nicht für bestimmte Inhalte, die schon vor dem 28. Juni 2025 auf Websites oder in anderen Anwendungen veröffentlicht wurden. Dazu gehören beispielsweise Videos, Audio, Karten, Office-Dokumente, Drittanbieter-Inhalte oder Archive. Diese müssen also nicht nachträglich angepasst werden.

Dienstleister*innen können weiter die Produkte einsetzen, die sie auch schon vor dem Stichtag eingesetzt haben. Das können sie dann noch 5 Jahre länger, also bis Juni 2030 machen. Wenn es Verträge über Dienstleistungen gibt, die über den Stichtag hinaus gelten, dann dürfen auch diese bis 2030 weiter so bestehen. 

Für Selbstbedienungsterminals gilt sogar eine noch weiter gefasste Übergangsfrist. Sie dürfen bis zum Ende ihrer Nutzungsdauer weiterbetrieben werden. Allerdings nicht länger als 15 Jahre nach ihrer Inbetriebnahme.

Was muss man tun?

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz setzt klare Anforderungen für Produkte und Dienstleistungen, um sicherzustellen, dass sie für alle leicht nutzbar sind. Dabei geht es zum Beispiel um die Wahrnehmung über mindestens zwei Sinne, um Anpassung in Größe, Helligkeit und Kontrast oder auch um die Gestaltung von Verpackungen und Anleitungen. Die Anforderungen laut BFSG sind in dieser Rechtsverordnung festgehalten.

In Bezug auf Websites oder Apps sollten diese Aspekte berücksichtigt werden:

  • Mehrsinnige Wahrnehmung: Stell sicher, dass Inhalte nicht nur visuell, sondern auch akustisch zugänglich sind. Texte sollten vorgelesen werden können, und wichtige Informationen müssen auch für Menschen mit Sehbehinderung verständlich sein.
  • Visuelle Gestaltung: Achte auf ausreichende Kontraste, verstellbare Schriftgrößen und klare Strukturen. Elemente sollten auch bei Farbsehschwächen gut erkennbar sein.
  • Bedienbarkeit: Deine Website oder App muss auch für Menschen mit eingeschränkter Feinmotorik leicht zu navigieren sein. Das betrifft die Größe von Bedienelementen sowie die Reaktionsfähigkeit auf verschiedene Eingabemethoden wie Touchscreens oder Tastaturen.
  • Verständlichkeit: Sorg dafür, dass die Inhalte leicht verständlich sind. Vermeide unnötig komplizierte Sprache und biete Erklärungen für Fachbegriffe an.
  • Robustheit: Deine digitalen Angebote sollten auch mit verschiedenen Assistenztechnologien wie Screenreadern kompatibel sein.
  • Testen und Feedback: Führe regelmäßige Tests mit Nutzer*innen, die unterschiedliche Behinderungen haben, durch und passe die Anwendung basierend auf ihrem Feedback an.
  • Konformitätserklärung: Erstell eine Erklärung, in der du bestätigst, dass deine Website oder App die Anforderungen des BFSG erfüllt. Dies ist wichtig, um rechtlichen Anforderungen zu genügen und die Barrierefreiheit deines Angebots zu dokumentieren.

Das deckt sich weitestgehend mit den gängigen Guidelines für Barrierefreiheit (WCAG 2.0 oder BITV  2.0). Was du hierbei im Detail machen kannst, erfährst du im Beitrag »Digitale Barrierefreiheit 2/3 – Checkliste barrierefreie Website«. Damit bist du schon auf einem guten Weg auch die Bestimmungen des BFSG zu erfüllen.

Wie wird das kontrolliert und gibt es Strafen?

Ein Gesetz ist nur dann etwas wert, wenn es auch durchGESETZt werden kann. Beim BFSG ist die Marktüberwachungsbehörde des jeweiligen Bundeslandes am Zug. Sie überprüft in Stichproben auch ohne konkreten Anlass und stellt fest, ob die Marktteilnehmer*innen sich ans Gesetz halten.

Sollte zum Beispiel deine Website nicht konform sein, dann weist die Behörde darauf hin und fordert dich auf, einen konformen Zustand herzustellen. In einer gewissen Frist natürlich. Sollte das wiederholt nicht passieren, kann die Behörde anordnen, deine Website einzustellen.

Wenn Produkte oder Dienstleistungen nicht so sind, wie sie sein sollten – also nicht konform mit dem BFSG – kann man das als Verbraucher*in bei der zuständigen Marktüberwachungsbehörde im jeweiligen Bundesland melden. Verbraucher*innen können sich auch von einem im Sinne des Behindertengleichstellungsgesetzes anerkannten Verband vertreten lassen. Sie sind also nicht allein.

Sollten die Dienstleistungen oder Produkte die Bestimmungen des BFSG nicht erfüllen, müssen diese im schlimmsten Fall zurückgerufen werden. Außerdem drohen Bußgelder in Höhe von 10.000 bis zu 100.000 Euro, je nach begangener Ordnungswidrigkeit.

Wie sollte man das ganz praktisch angehen?

Auf jeden Fall Ruhe bewahren und das Ganze als »normales Projekt« angehen. Schritt für Schritt. 

Prüfe zuallererst, ob dein Produkt oder deine Dienstleistung in den Bereich des BFSG fällt. Wenn nicht, kannst du dich trotzdem um Barrierefreiheit kümmern. Das ist immer eine gute Idee (Mehr dazu in diesem Beitrag »Digitale Barrierefreiheit – Die absoluten Basics«). 

Wenn Du eine Website oder App hast und elektronischen Geschäftsverkehr mit deinen Kund*innen treibst, dann solltest du dich vom BFSG angesprochen fühlen. Zuerst braucht es einen Überblick über die aktuelle Lage. Das macht man am besten mit einem sogenannten Barrierefreiheits-Check. Dabei wird überprüft, wie zugänglich deine Website oder App schon ist. Für den Einstieg kannst du dafür Online-Tools wie den »WAVE Web Accessibility Evaluation Tool« nutzen. Diese Tools zeigen dir vor allem aus technischer Sicht schnell, wo es noch hakt. Schau dir auch deinen Content und deine Visuals an. Bietest du Alternativen zu Video- und Audio-Inhalten? Gibt es schon Transkripte? Bietest du Inhalte in einfacher oder leichter Sprache an? Haben deine Bilder aussagekräftige Beschreibungstexte? Ist der Farbkontrast ausreichend groß? Ist die Schrift gut lesbar? 

Mit den Ergebnissen des Checks erstellst du einen Maßnahmenplan. Welche Maßnahmen sind schnell und einfach umgesetzt. Welche brauchen vielleicht etwas länger? Welche werden durch das BSFG gefordert? Können Maßnahmen an der bestehenden Website umgesetzt werden oder wäre ein Relaunch sinnvoller? Definiere Verantwortlichkeiten und setz die Maßnahmen konsequent um.

Denk auch über Strukturen und Prozesse nach, die Barrierefreiheit in deinem Unternehmen überwachen, testen und weiter ausbauen. Such dir Hilfe von Extern. Durch Menschen mit Behinderung, die deine Website oder App testen können oder durch Vereine und Organisationen, die dich dabei bei der Umsetzung unterstützen können.

Hier geht es zu Teil 1 der Serie: »Die absoluten Basics«.

Hier geht es zu Teil 2: »Checkliste barrierefrei Website«

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